
Vom Traum zum Abenteuer
Von Medellín in Kolumbien aus ans Ende der Welt nach Ushuaia in Argentinien. Diese tausende Kilometer Panamericana fahren einige, aber für die wenigsten ist es die allererste Motorradtour. Auf der Suche nach Abenteuern und neuen Herausforderungen und getrieben vom Interesse an anderen Kulturen und Lebensweisen starteten wir im Juni 2023 unsere allererste Motorradreise überhaupt.
Ohne Motorrad-Erfahrung, aber mit viel Mut
Es war eine Idee, wurde ein Traum, und wenn nicht jetzt, wann dann? Mit dieser Einstellung überzeugte Ela Philipp von ihrer Idee, Südamerika mit dem Motorrad zu bereisen. Ohne jemals auf einem Motorrad gesessen zu haben, machten wir daraufhin 2022 gemeinsam den Motorradführerschein in Deutschland und sitzen nur ein paar Monate später auf unseren ersten eigenen Motorrädern in Kolumbien, zwei Honda XR 150L, und starten unsere allererste Motorradreise überhaupt. Wir sind uns sicher, dass wir es lieben werden, aber wirklich wissen tun wir es nicht.

Vollbepackt – wir haben schließlich einige tausend Kilometer vor uns – wissen wir nicht, wie lange unsere Reise gehen wird, an welchen Orten wir vorbeikommen, welche Begegnungen wir haben werden und für wie viele unerwartete Herausforderungen wir Lösungen finden müssen. Etwas wackelig auf dem Motorrad, da die Gewichtsverteilung noch sehr ungewohnt ist, und mit einer Aufregung, die nicht in Worte zu fassen ist, verlassen wir Medellín, den Startpunkt unserer Reise. Beim Tanken fragt uns der Tankwart: »Wohin fahrt ihr? Ihr habt viel Gepäck!« und wir rufen ihm gut gelaunt im Chor zu: »Wir fahren ans Ende der Welt! Wir fahren nach Ushuaia in Argentinien!«
Mitten ins Abenteuer – mitten in Kolumbien
Unser Plan ist es, abseits der Hauptstraßen zu fahren, das Hinterland zu erkunden, abseits der touristischen Routen und ohne einen genauen Plan, ohne eine genaue Route zu haben. Wir lassen uns von Einheimischen inspirieren, fahren der Nase nach, und wenn es uns irgendwo gefällt, dann bleiben wir einfach dort.
Dass wir so sehr schnell in unser erstes richtiges Abenteuer geraten, liegt vielleicht auf der Hand, aber offensichtlich war es für uns nicht so. Wir sind auf dem Weg nach La Macarena im Südosten Kolumbiens. Dort wollen wir den bekannten Caño Cristales bestaunen – einen Fluss, der durch eine algenähnliche Pflanze in verschiedenste Farben verwandelt wird.
Alle Kolumbianer kennen diesen Fluss, aber die wenigsten waren dort. Warum das so ist, wird uns erst bewusst, als wir schon mittendrin sind. Unser Weg führt uns immer weiter weg von den Hauptstraßen, weg von der Zivilisation, weit weg von den großen Städten. Und spätestens als ein Jeep neben uns hält, der Mann die Fensterscheibe runter kurbelt und uns erklärt, dass oben auf dem Berg ein Militärstützpunkt ist und es wichtig sei, dass wir unseren Helm dort abziehen, um erkennbar zu sein, fragen wir uns, wo wir hier reingeraten sind.
So, wie wir es erklärt bekommen haben, ziehen wir den Helm oben ab, fahren an dem Militärstützpunkt vorbei und ziehen anschließend den Helm wieder auf. Erst beim Mittagessen in einem sehr kleinen Dorf fangen wir langsam an zu realisieren, wo wir hier sind. Direkt neben uns entdecken wir ein Graffiti – ein Graffiti der FARC, die von der EU einst als terroristische Vereinigung geführt wurde. Ein paar Kilometer weiter werden wir mit einer Schnur auf der Straße angehalten, wir müssen Wegzoll zahlen und den Helm absetzen.
Dieses Mal dürfen wir ihn jedoch nicht wieder aufsetzen, wir bekommen erklärt, dass wir zu unserer eigenen Sicherheit ohne Helm weiterfahren müssen, um jederzeit erkennbar zu sein. Dass das im absoluten Widerspruch zu unserem sonstigen Fahrverständnis steht, ist indiskutabel – es sollte schließlich zur eigenen Sicherheit immer und überall auf einem Zweirad ein Helm getragen werden.
Dass es jedoch keine gute Idee ist, sich dem zu widersetzen, erfahren wir ein paar Kilometer weiter. Es fängt an zu regnen, Philipp setzt den Helm auf und wir denken, dass es schon nicht so schlimm sein wird. Es dauert jedoch keine Minute, bis ein Mann mit einem Motorrad auf uns zukommt, uns stoppt und uns zu verstehen gibt, dass wir den Helm unter keinen Umständen aufsetzen dürfen, dass hier andere Regeln herrschen, und zwar die Regeln der FARC.

Und als ob das nicht alles schon genug wäre, werden die Straßen immer schlechter. Es regnet und wir fahren das erste Mal Offroad – und zwar direkt so richtig. Wir durchfahren riesige Schlammpfützen, überqueren einen knietiefen Fluss, befahren unbefestigte Schotterstraßen mit teils großen Steinen, stürzen mehrfach, stehen auf und stürzen wieder. Wir sind am Ende unserer Kräfte, können nicht mehr und stellen uns das erste Mal die Frage, ob unsere Entscheidung, diese Motorradreise zu machen, die richtige war.
Erste Fortschritte beim Motorrad fahren
Wir fahren weiter Richtung Süden, überqueren die erste Landesgrenze mit unseren Motorrädern, bestaunen den vom Erdkern gemessen höchsten Berg der Welt, den Vulkan Chimborazo, besuchen den Amazonas und den westlichsten Punkt Südamerikas, bis wir endlich in den peruanischen Anden angekommen sind.
Mittlerweile fühlen wir uns sicherer auf dem Motorrad, können es genießen, uns in die Kurven zu legen, den Wind im Gesicht zu spüren und fallen nicht mehr bei jeder Schotterstraße um. Die Höhe macht uns zwar am Anfang etwas zu schaffen, aber nach ein paar Tagen der Akklimatisierung können wir die Anden abseits der Hauptstraßen, entlang kleiner Dörfer und mit den schlechtesten Straßen überhaupt, in vollen Zügen genießen.
Wenn aus Pannen Begegnungen werden, die bleiben
Beim Packen dachten wir, dass wir auf alles vorbereitet sind, für sämtliche Szenarien haben wir Werkzeug dabei, und nun stellen wir fest, dass wir auf das Offensichtlichste, das Wahrscheinlichste, so absolut gar nicht vorbereitet sind. Wir haben unseren ersten platten Reifen und natürlich kein Werkzeug dabei, um den Reifen abzuziehen. »So etwas passiert einem auch nur bei der allerersten Motorradtour!«, denken wir verzweifelt.
Hätten wir vorher mal in eine gute Packliste geschaut (zum Beispiel diese hier), wäre uns dieses ungeplante Abenteuer vielleicht erspart geblieben.
Kilometerweit um uns ist nichts, so gar nichts, und als wir endlich den einzigen Menschen weit und breit gefunden haben, einen Goldschürfer, der einen Schraubenzieher hat, brauchen wir ganze drei Stunden, um damit den Reifen abzuziehen. Dass der Reifen danach so durchlöchert ist, dass er kaum noch zu gebrauchen ist und der nächste platte Reifen nicht lange auf sich warten lässt, ist wahrscheinlich logisch, es war jedoch unsere einzige Option.

Dass wir nur wenige Tage später aufgrund unserer fehlenden Werkzeuge Menschen begegnen, denen wir sonst nie begegnet wären und so die traditionellste und intensivste Erfahrung unserer Reise machen durften, die uns verwehrt geblieben wäre, wenn wir auf alles vorbereitet gewesen wären, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Mit einer Virusinfektion und über 40 Grad Fieber stranden wir in Llipia, einem kleinen Dorf mit gerade einmal 180 Einwohnern, inmitten der peruanischen Anden. Auf dem Weg aus dem Gemeindehaus, in dem wir schlafen dürfen, stellen wir fest, dass mein Motorrad einen Platten hat.
Die hilfsbereiten Dorfbewohner führen uns zu einer Baustelle, und wir lernen sieben Brüder kennen, die das Haus der Eltern renovieren. Sie helfen uns mit unserem platten Reifen und schenken uns zum Abschluss das wohl Wichtigste für unsere weitere Reise. Sie schenken uns handgemachtes Werkzeug zum Abziehen der Reifen.
Wir bleiben zum Mittagessen, sind interessiert und werden so eingeladen, am nächsten Tag bei der Essenszubereitung zu helfen. Wir werden in die Traditionen eingeführt, kochen auf offenem Feuer eine frische Hühnersuppe, für die wir zuerst ein Huhn erlegen müssen, frittieren Meerschweinchen und sind mittendrin statt nur dabei.
Im Endeffekt sind wir dankbar, dass wir auf das Offensichtlichste nicht vorbereitet waren, denn sonst hätten wir diese traditionelle Erfahrung wohl nicht machen dürfen.
Grenzen spüren, Ängste überwinden – unsere härteste Etappe
Nach hunderten Kilometern in den Höhen der peruanischen Anden sind wir mittlerweile Profis im Offroad-Fahren, und selbst die löchrigsten, holprigsten und sandigsten Straßen machen uns nichts mehr aus. Das dachten wir zumindest.
Unser Weg zu den berühmten Nasca-Linien führt uns an der Küste entlang durch den Paracas-Nationalpark. Dieser Nationalpark kommt einer Wüste gleich, hat atemberaubende Küstenabschnitte, vorgelagerte Inseln, auf denen sich unzählige Seelöwen und Flamingos tummeln, und durch Mineralien gefärbte Wasserstellen, die pink und grün leuchten. Wir trauen unseren Augen kaum und sind mal wieder überwältigt davon, was unser Planet zu bieten hat.

Die Straße wird sandiger, unsere Navigation führt uns weiter in den Park hinein, und ohne es wirklich zu bemerken, sind wir nur noch umgeben von Sand, soweit das Auge reicht. Der Sand ist mittlerweile nicht mehr fest, sondern lose, und wir kommen nur langsam voran. Umdrehen ist keine Option, wenn wir heute noch unser nächstes Ziel, Ica, erreichen wollen.
Eine Straße ist eigentlich nicht mehr zu erkennen, wir kämpfen uns vorwärts, bleiben stecken, fallen um und stehen plötzlich auf einer Sanddüne. Wir können die Weite der Wüste überblicken und sehen kein Ende, aber das, was wir sehen, bringt Ela an ihre Grenze. Vor uns liegt ein hunderte Meter langes Gefälle mit einer extremen Steigung inmitten des Sandes, so steil, dass es nicht möglich ist, geradeaus herunterzufahren. Ela’s Puls beschleunigt sich, sie fängt an, am ganzen Körper zu zittern, weil sie weiß, dass sie es nicht herunterschaffen wird, ohne zu stürzen.

Philipp fährt vor, bremst, sein Hinterreifen blockiert, rutscht weg, und er und das Motorrad rutschen seitlich etliche Meter nach unten. Mit aller Kraft richtet er sein Motorrad auf und schafft es nach unten, bevor er anschließend Ela’s Motorrad herunterfährt.
Froh, dass wir endlich unten angekommen sind, wollen wir weiterfahren. Doch als Philipp den Gang einlegen will, tritt er ins Leere, findet den Ganghebel nicht. Beim Herunterrutschen muss der Ganghebel abgebrochen sein. Wir haben genau die Hälfte, achtzig Kilometer durch die Wüste liegen noch vor uns, wir haben zwei Liter Wasser übrig und fragen uns mal wieder, wie wir hier reingeraten konnten. Mit unserem Werkzeug schaffen wir es, den ersten Gang einzulegen, den Sonnenuntergang verbringen wir in der Wüste, mit zwanzig Stundenkilometern fahren wir weiter und erreichen Ica am späten Abend – erschöpft, aber unendlich erleichtert.
Wildcampen und Begegnungen in den Bergen Perus
Die ansonsten vielbefahrenen und oft dreckigen Hauptstraßen an der Küste Perus gefallen uns gar nicht, sodass wir nach dem Besuch der Nasca-Linien wieder in die Berge fahren, weit weg von den asphaltierten Straßen und der Zivilisation. Soweit in den Bergen, dass wir eines Morgens einen Hirten mit seinen zwölf Kühen treffen, der völlig sprachlos stoppt. Meistens campen wir wild inmitten der Natur, oft sehen wir niemanden, aber an diesem Morgen kommt ein Hirte vorbei. Er bleibt stehen, schaut uns freundlich an und fragt, was das hier sei. Wir erklären ihm, dass das unser Zelt ist, unser Zuhause, in dem wir schlafen. »So etwas habe ich noch nie gesehen!«, sagt er und fragt, ob er es mal anfassen darf. Völlig sprachlos von der Textur des Zeltes stellt er fest, wie praktisch ein Zelt ist, und als wir ihm auch noch erklären, dass es wasserdicht ist, verschlägt es ihm völlig die Sprache, was es heutzutage alles gibt. Grinsend verabschieden wir uns und fahren weiter Richtung Süden.
Über Bolivien, Chile und Argentinien bis nach Feuerland


Wir durchqueren Bolivien, finden Dinosaurierspuren, campen auf der größten Salzwüste der Welt, Salar de Uyuni, und bestaunen die Sterne, Planeten und andere Galaxien über der trockensten Wüste der Welt, der Atacama-Wüste in Chile. Über die Ruta 40 in Argentinien und die Carretera Austral in Chile führt uns unser Weg nach Feuerland, wo wir die einzige Königspinguinkolonie weltweit, die das Festland besiedelt, aus der Ferne beobachten. Wir trotzen dem teilweise heftigen und eisigen Wind in Patagonien und erreichen nach mehr als 21.000 Kilometern Fahrt, neun Grenzübergängen und mehr als acht Monaten on the road die südlichste Stadt unseres Planeten.
Halbzeit am Ende der Welt!


Mit vielen Herausforderungen auf der Reise, einem kaputten Motor, einem gebrochenen Hauptrahmen, einer abgenutzten Kupplung, um nur einige Beispiele zu nennen, haben wir unglaublich viel gelernt und festgestellt, dass es immer und überall für alles eine Lösung gibt.
Trotz aller Herausforderungen, die uns die Reise manchmal erschwert haben, haben wir das Motorradabenteuer, das Gefühl der absoluten Freiheit und den Wind im Gesicht so zu lieben gelernt, dass es für uns weitergehen wird.
Ushuaia, die südlichste Stadt der Welt, ist für viele der Start- oder Endpunkt der Reise. Für uns ist es erst die Halbzeit. Weitere Motorradabenteuer warten auf uns! Wir werden über Brasilien und den Amazonas zurück nach Kolumbien fahren, zurück dorthin, wo alles begann.
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